Das rote Rosen Trauma

Veröffentlicht auf von Blaufedermond

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Voller Misstrauen sah Sybill auf die einzelne Rose, die mitten auf dem Frühstückstisch stand. „Zum Glück bist du nicht rot!" dachte sie. Zu roten Rosen hatte sie ein zwiespältiges Verhältnis. Sie liebte Rosen wegen ihrer Vielfältigkeit, ihrer vielseitigen Farben, der samtenen Blätter, aber vor allem wegen ihres Duftes. Was sie nicht mochte, war die einzelne rote Rose. Ein bitterer Zug spielte um ihren Mund, als sie an die erste einzelne rote Rose dachte, die in ihrem Leben eine Rolle spielte. Wenn sie es recht überlegte, gab es bis zum heutigen Tag keine einzelne rote Rose, in ihrem Leben. Es gab langstielige lachsfaben, weiße und auch einzelne gelbe Rosen, aber niemals eine rote.

Diese erste rote Rose hat bis heute bittere Spuren hinterlassen, die immer noch unangenehme Assoziationen hervorriefen. Ihre Gedanken überwanden viele Jahrzehnte spielend und die Vergangenheit wurde lebendig. Es kam ihr vor, als wäre es gestern gewesen. Die Zeit der Tanzstunden, die Zeit in der junge Mädchen beginnen die Welt zu erobern, besonders die Männerwelt. Wo war das unverfänglicher möglich, als in der Tanzstunde? Sybillhatte dabei das Glück einen Tanzpartner zu erwischen mit dem das Tanzen auf Anhieb funktionierte. Ob Walzer, Rumba, Discofox oder Cha-Cha, sie schwebte übers Parkett und auf Wolke sieben. Die Wellenlänge passte, der Humor war deckungsgleich und das Lachen stand hoch im Kurs, auch wenn im Stillen verbissen der Walzertakt gezählt wurde. Doch jeder Tanzkurs hat ein Ende, so auch dieser. Die letzte Tanzstunde rückte unaufhaltsam näher und Sybill nutze die Gelegenheit ihren Tanzpartner Thomas mit ihrer Clique bekannt zu machen. Er würde wunderbar hineinpassen, dessen war sie sich sicher. Er nahm ihre Einladung an und das Treffen war auch ein voller Erfolg. Der Abend verlief feucht fröhlich, es wurde gelacht, gespielt, gescherzt, geflirtet, rundum ein gelungener Abend. Sybill lächelte, als sie an die lustige ausgelassene Zeit dachte, an den Spaß den sie hatten. In den darauf folgenden Wochen entstand eine tiefe Freundschaft zwischen Sybill und Thomas, in der deutlich mehr lag als nur Freundschaft. Sybill hatte sich verliebt. Es war die erste große Liebe ihres Lebens. Thomas hatte ihr Herz erobert und es blieb wenig Platz dort für anderes.

Sybills beste Freundin Regina ertrug die Schwärmereien meist mit einem gequälten Lächeln. Entkommen konnte sie ihnen nicht, denn Sybill und Regina verbrachten nicht nur ihre Freizeit miteinander, sie waren auch Arbeitskolleginnen. Zwar waren sie in unterschiedlichen Abteilungen beschäftigt, dennoch gab es auch während der Dienstzeit immer wieder Kontakt miteinander. Sybill fiel es in ihrem Überschwang nicht auf, dass Regina ihr immer nur wortlos zuhörte und meist versuchte das Thema zu wechseln. Sie saß auf einer rosa Wolke, träumte in den Tag hinein und malte die Welt in den schönsten Farben an.

 

Sybill sah auf die Rose, die vor ihr stand, fasste sanft an eines der zarten Blütenblätter und fragte sie: „Was erzählst du mir wirklich? Bist du eine von denen, die aus Gewohnheit verschenkt werden, über die nicht einmal mehr nachgedacht wird oder eine von denen, die dem schlechten Gewissen entspringen und die die Wahrheit vertuschen sollen?“ Die unschuldige Rose schwieg und neigte noch nicht einmal ein wenig ihren stolzen Kopf. Sybills Gedanken flogen zurück in die Vergangenheit, angewidert schüttelte sie sich, als sie an ihre Naivität und Blauäugikeit dachte.

 

Sie hatte mit Thomas und ihrer Clique damals öfter etwas unternommen, auch den Silvesterabend hatten sie gemeinsam verbracht. Es war, wie sie damals dachte, einer der schönsten Abende und vor ihr lag ein wunderbares neues Jahr. Weit gefehlt, aber das ahnte sie nicht. Einige Tage später, sah sie Thomas am Nachmittag das Geschäft betreten, in dem sie arbeitete. Sie sah ihn durch den Nordeingang das Haus betreten und die wenigen Stufen in den Laden hinunter steigen. Ihr stockte für einen Moment der Atem als sie sah, dass er eine rote Rose bei sich trug. Wild begann ihr Herz zu klopfen, ihr Thomas ein Rosenkavalier? Wie romantisch. Aber statt den Weg zu ihrem Arbeitsplatz einzuschlagen, durchlief er den Mittelgang des Kaufhauses und strebte dem Südeingang Richtung Rolltreppen zu. Etwas verwirrt blieb Sybill zurück, ohne sich bemerkbar gemacht zu haben. Möglicherweise wollte er noch etwas einkaufen, beruhigte sie sich. Aber der Nachmittag verging und sie sah Thomas nicht mehr. Vielleicht hatte sie ihn verpasst. Mehrmals hatte sie an diesem Tag noch ins Lager gemusst, aber er hätte doch sicher gewartet. Immer noch verwirrt, stand sie abends am Personalausgang und wartete auf ihre Freundin Regina, um mit ihr gemeinsam den Heimweg anzutreten. Zum zweiten Mal an diesem Tag stockte ihr der Atem, als sie ihre Freundin Regina sah, die eine rote Rose in ihrer Hand hielt und deren Augen solange leuchteten, bis sie Sybill entdeckt hatte. Diesem Blick, den die Beiden tauschten, folgte der längste Heimweg, den sie jemals miteinander hinter sich gebracht hatten, das intensivste Gespräch, dass sie geführt hatten und die größte Enttäuschung, die Sybill bis dahin zu verkraften hatte.

 

Viele Wochen folgten, in denen die Freundschaft eine harte Probe zu bestehen hatte, aber sie schafften es irgendwie. Sybill begrub ihre Liebe und fand mit der Zeit zur Freundschaft zurück. Einige Jahre später heirateten Regina und Thomas. Heute war Sybill Patentante des ersten Kindes dieser Ehe. Bei diesem Gedanken lächelte Sybill wieder still in sich hinein, das alles lag soweit zurück, das Einzige was davon übrig geblieben war, war das rote Rosentrauma und sie war froh, dass die Rose auf dem Tisch eine gelbe war. Trotzdem fragte sie sich, welche Botschaft diese Rose, die sie zu ihrem Geburtstag bekommen hatte, trug. War es eine von diesen Gewohnheitsrosen, die man schenkte, weil es üblich war oder war es die Schlechtes-gewissen-rose? Die die verschenkt wurden, um die Fassade zu erhalten oder war sie eine von den ehrlichen und aufrichtig geschenkten Rosen? Sie wusste es nicht. Noch viel weniger wusste sie, ob sie eines Tages einer roten Rose würde trauen können. „Was meinst du dazu?“ fragte sie die Rose. Doch diese blieb stumm und neigte nicht ein winziges bisschen ihren stolzen gelben Kopf. Das Schrillen des Telefons riss Sybill aus ihren Zwiegespräch mit Königin der Blumen. „Komm ja schon!“ rief sie in die leere Wohnung dem Telefon entgegen, als ob es sie hören könne und sie hoffte, es würde ihr Rosenkavalier sein, der dem sie die schöne gelbe Rose verdankte.

 

Ein Stück Roman Fragment -

© AS 2013

 

Veröffentlicht in Kurztexte

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